Wie NaturFreund Georg Elser versuchte, Adolf Hitler zu stoppen
Am 8. November 1939 wollte Georg Elser Adolf Hitler und seine Mörderbande stoppen, den Diktator ausschalten und den Krieg und die Verbrechen der Nazis stoppen. Nicht erst 1944, als das Grauen nicht mehr zu leugnen war. Elser begann fünf Jahre früher als die überwiegend deutschnationalen Verschwörer um Claus Schenk Graf von Stauffenberg vom 20. Juli 1944, derer die deutsche Öffentlichkeit jedes Jahr mit großer Zeremonie gedenkt, während Elser noch immer weitgehend unbekannt ist.
Dreizehn Minuten, das ist die kurze Zeitspanne, um die Georg Elser sein Ziel verfehlte. Sie machten ihn, den Schreinergesellen von der Schwäbischen Alb, zu einem tragischen Helden. Elser war ein Sehender unter Blinden. Seine Tat geschah natürlich vor einem völlig anderen politischen und sozialen Hintergrund, aber fest steht: Georg Elser war ein Einzelgänger, ein einfacher Mann mit einem klaren sozialen und demokratischen Bewusstsein. Elser war kein Mann großer Worte, aber bereit zu konsequentem Handeln.
Die Bombe explodierte um 21:20 Uhr am Pfeiler direkt hinter der Rednertribüne im Münchner Bürgerbräukeller, doch Hitler hatte bereits um 21:07 Uhr den Kundgebungsort verlassen. Seine Rede vor den „Alten Kämpfern“, die sich alljährlich in München trafen, blieb in diesem Jahr unerwartet kurz, weit unter den vorgesehenen zwei Stunden. Normalerweise wäre er erst am nächsten Morgen zurück nach Berlin geflogen, aber wegen des dichten Nebels wählte er die sichere Variante und nahm einen Sonderzug, der um 21:31 Uhr den Münchner Hauptbahnhof verließ.
Wäre die Ausführung des Attentats erfolgreich gewesen, hätte sie den Lauf der Weltgeschichte entscheidend verändert. Wahrscheinlich wäre der Zweite Weltkrieg verhindert und wären Millionen von Menschen vor Tod, Leid und Verzweiflung bewahrt worden. Den Holocaust hätte es möglicherweise nicht gegeben, die Spaltung Deutschlands und Europas wäre uns erspart geblieben, hätten Adolf Hitler und seine Clique, der engste Führungszirkel der Nationalsozialisten, das Treffen nicht mehr als eine halbe Stunde früher verlassen. Diese Entscheidung rettete ihnen das Leben. Hitler, Goebbels, Heydrich, Himmler, Heß, Rosenberg und Streicher kamen noch einmal davon.
Georg Elser fürchtete schon früh die Verbrechen der Nazis. Von 1936 an arbeite er in einer Armaturenfabrik in Heidenheim, in der es eine Sonderabteilung für Rüstungsaufträge gab. Er sah den Krieg heraufziehen. Deshalb fasste er den Entschluss, Hitler zu töten und suchte sich dafür den Bürgerbräukeller in München aus. Elser plante den Anschlag akribisch. Er stahl an seiner Arbeitsstelle Pulverpressstücke, kündigte dann in der Armaturenfabrik und arbeitete als Hilfsarbeiter in einem Steinbruch, um an Dynamitstangen heranzukommen. Dann zog er nach München, ließ sich in mehr als 30 Nächten unbemerkt im Bürgerbräukeller einschließen, um immer dann, wenn die automatische Spülung der Toilette den Lärm der Schläge mit seinem umwickelten Meißel übertönte, die Säule, vor der Hitler sprechen würde, von der Empore her auszuhöhlen.
Alles war sorgfältig geplant. Doch dann kam der Nebel, der Hitlers Terminplan änderte. Die Bombe explodierte zu spät, getötet wurden insgesamt acht Menschen, darunter örtliche Parteigrößen, aber leider auch einfache Kellnerinnen. Weitere 63 Anwesende wurden verletzt. Die Nazi-Propaganda hatte die Unverfrorenheit, das gescheiterte Attentat dafür zu nutzen, Hitler den Mythos des unsterblichen Führers anzuhängen.
Etwa zeitgleich zum Attentat wurde Georg Elser an der Schweizer Grenze bei Konstanz von zwei Zollbeamten verhaftet. Weil er verdächtige Gegenstände in seinen Taschen hatte, wurde er der Polizei übergeben. Nach tagelangen Verhören in München gestand Elser der Geheimen Staatspolizei seine Tat. Er bekräftigte seine Absicht, Hitler töten zu wollen: „Ich wollte durch meine Tat ein noch größeres Blutvergießen verhindern.“ Elser wollte den Krieg stoppen und den Weg für einen europäischen Frieden ebnen.
Elser, 1903 im württembergischen Hermaringen geboren, war ein moralisches Gegenbild zu den Nazis. Er stellte sich früh gegen sie und verweigerte den Hitlergruß. Er verachtete die Ideologie der „Herrenmenschen“, wurde Mitglied im Roten Frontkämpferbund, aber in keiner Partei. Er fühlte sich wohl im Gesangsverein in Königsbronn, wo er eine Zeitlang bei seiner Familie wohnte. Und er war von 1926 bis zu ihrem Verbot 1933 aktiv bei den Konstanzer NaturFreunden, im Kreis politisch Gleichgesinnter, die wie er mehr Demokratie und Gerechtigkeit wollten.
Am 9. April 1945, nach jahrelanger Haft und vielen Folterungen in den KZ Sachsenhausen und Dachau wurde Elser kurz vor Kriegsende auf persönlichen Befehl von Hitler erschossen. Im Jahr 1964 tauchten die Akten über seine Verhöre auf, 1970 wurde das Vernehmungsprotokoll veröffentlicht, welches in den Akten des Reichsjustizministeriums lagerte. Darin steht die wichtigste Begründung seiner Tat: „Ich habe den Krieg verhindern wollen.“ Dreizehn Minuten haben dafür gefehlt.
In Westdeutschland war nach 1945 der Widerstand aus nichtbürgerlichen Schichten gegen Hitler und den Nationalsozialismus nicht nur lange Zeit tabuisiert, sondern sogar heftig umstritten. Erst Mitte der Fünfzigerjahre wurde seine Bedeutung für die politische Kultur Deutschlands langsam klar. Dennoch wurde Elser diffamiert, sein Handeln ausländischen Auftraggebern zugeordnet, als sei er britischer Agent gewesen. 1969 veröffentlichte Anton Hoch vom Institut für Zeitgeschichte nach langen Recherchen die genauen Fakten und räumte mit den Gerüchten und Mythen auf. Lothar Gruchmann machte 1970 die Vernehmungsprotokolle bekannt, die wichtige Einblicke in das Denken und Handeln Georg Elsers lieferten.
Die Bundeszentrale für politische Bildung erstellte zusammen mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, dem Georg-Elser-Arbeitskreis und der Gemeinde Königsbronn eine Dokumentation über das Attentat vom 8. November 1939. Georg Elser selbst hatte ganz bewusst viele Spuren vor seiner Tat verwischt, weil er niemand anderes in Verdacht bringen wollte. Unbestritten hat Georg Elser viele Impulse für seine Haltung bei den NaturFreunden bekommen. Der Elser-Biograf Helmut Ortner schrieb: „Elser (war) im örtlichen NaturFreunde-Verein, sagte mir sein mittlerweile verstorbener Jugendfreund Eugen Rau.“ Elser informierte eben jenen Rau im August 1939 über seine Absicht, die „Regierung in die Luft (zu) sprengen, da Deutschland sonst keine Zukunft mehr“ haben würde.
Elser, der wahre Antagonist Hitlers, ist unbequem, denn er macht das Versagen des deutschen Bürgertums deutlich. An der Berliner Wilhelmstraße 93, wo der Führerbunker stand, wurde eine Silhouette seines Kopfes errichtet – in Erinnerung an den Widerstandskämpfer Georg Elser.
Michael Müller
Bundesvorsitzender der NaturFreunde Deutschlands